Ich oute mich jetzt mal und sage, dass ich ein großer Fan des Films „Das letzte Einhorn“ bin. Ja, frühkindliche Erlebnisse sind halt prägend. Da brauchen kaum die ersten Noten zu ertönen und schon greife ich zum ersten Taschentuch.
Die Heulerei setze ich dann in einem fort bis zum Abspann, doch eine Szene, die ergreift mich immer wieder ganz besonders aufs Neue.
Es ist die Szene so ziemlich in der Mitte des Films. Dann, wenn Schmendrick der Zauberer das Einhorn vor dem Roten Stier retten muss, indem er es in ein Menschenmädchen verwandelt. Als das Einhorn das dann realisiert, der Rote Stier sich enttäuscht abwendet, und Molly die Räuberfrau das Mädchen beschützend in den Arm nimmt, sagt das Einhorn verzweifelt etwas, das mir schier das Herz zerreißt: „Ich spüre, wie dieser Körper um mich herum zerfällt und stirbt“.
Manchmal fühle ich mich wie das Einhorn
Warum ich dir das, lieber Leser, erzähle? Weil ich mich zuweilen ein wenig wie dieses Einhorn fühle. Ja, das klingt jetzt überdramatisch und auch ein klein wenig pathetisch, ich weiß. Aber in gewisser Weise ist es schon so.
Natürlich sterbe ich nicht, das ist es nicht. Zumindest nicht demnächst. Aber in mir ist etwas drin, das sich langsam in Luft aufzulösen scheint, und das macht mich manchmal schon ein wenig traurig.
Wir sind jetzt seit einem Jahr wieder in Deutschland, und es ist wirklich schön hier. Ich bereue diesen Schritt keineswegs. Und doch fehlt mir etwas. Mir fehlt Australien.
13 Jahre haben wir in Australien gelebt; das kann man nicht einfach so wegwischen. Es ist ein Teil von mir, von meinen Kindern, der ganzen Familie. Und doch spüre ich, wie wir uns mit jedem weiteren Tag weiter von Australien entfernen.
Ein Teil von mir, den man mir nicht ansieht
Man sieht es uns halt nicht an. Wir sehen deutsch aus, und nicht australisch. Von außen betrachtet gibt es nichts, das verrät, was wir die letzten anderthalb Jahrzehnte getan haben. Das einzige, was uns von dieser Zeit geblieben ist, sind unsere Geschichten und unsere Erinnerungen.
Aber diese kann ich nicht ständig hervorkramen. Ich würde meine Umwelt mit den immer gleichen Sachen konfrontieren und langweilen. Witze und Anekdoten und Lehren, zu denen meine Bekannten keinen Bezug haben. Also behalte ich sie größtenteils für mich, was nicht immer leicht ist.
Ich habe sogar einen australischen Pass. Manchmal möchte ich es regelrecht herausschreien. Ich bin nicht nur deutsch, ich darf auch in Australien wählen!
Letztens habe ich die Kinder zum australischen Shop mitgenommen, Vegemite und Milo kaufen, und habe der Dame an der Kasse ein Schnitzel ans Ohr geredet, nur, weil sie auch aus Sydney kam. Aber natürlich gibt es ansonsten nichts, was mich mit dieser Person verbindet, und so bleiben diese Begegnungen nur kleine Alltagsfunken, die schnell wieder verlöschen, genauso wie ich in Sydney nie absichtlich die Nähe von Deutschen gesucht habe.
Die Welt dreht sich weiter, auch in Australien
Es ist das eine, dass man mir diese Vergangenheit nicht ansieht, und ich mir jedesmal ein bisschen wie ein Idiot vorkomme, wenn ich diese alten Kamellen hervorholen muss, um gewissen Umstände zu erklären.
Das andere ist, dass ich langsam den Anschluss an Australien verliere. Ich kann noch nicht einmal sagen, wer momentan der Prime Minister ist, und dabei habe ich Wahlpflicht.
So wie ich in Deutschland die ganze Latte an B-,C- und Z-Promis kennenlernen musste, habe ich verpasst, diese gleiche Gruppierung von Leuten in Australien zu verfolgen. Mittelweile freue ich mich sogar wieder, den dreisten Radiosprecher Kyle Sandilands im O-Ton zu hören, wie er Nicole Kidman unverschämte Sachen fragt – von einem Boulevard-Magazin auf ProSieben aufgewärmt. Früher hätte ich da angewidert weggeschaltet, denn Kyle ist leider ein echter Mistkerl.
Meine Erinnerungen an Australien verblassen also, meine Kinder verlieren ihren australischen Akzent, und ich verfolge nur noch aus der Ferne, wie meine Facebook-Freunde durch den Winter frieren, während ich an einem Berliner Badesee liege und schwitze. Ich höre nur noch selten direkt aus Sydney. Das Leben geht ja für uns alle irgendwie weiter, und es war meine Entscheidung zu gehen.
Die Sache mit der Identität
Es ist so eine Sache mit der Identität. Wer sind wir? Was macht uns aus? Das Dumme ist ja, dass man uns unsere Vergangenheit kaum ansehen kann.
Australien ist Teil von mir, und ja, ich vermisse es in einigen Aspekten. Gern möchte ich irgendwann noch einmal zurück, doch noch nicht jetzt. Denn gleichzeitig bin ich hier in Deutschland angekommen, und ich fühle mich hier wohl. Nicht so wie das Einhorn, das die menschliche Hülle mehr fürchtet als den Roten Stier.
Ich wünschte nur, ich könnte meine Bindung mit der Alten Welt besser hochhalten. Auch wenn es doof klingt, ich wünschte, ich wäre äußerlich australischer, damit ich mich nicht immer so erklären muss.
All das macht mich nicht wirklich unglaublich traurig oder so. Es weckt nur eine Art von Nostalgie in mir, die ich leider mit niemandem so recht teilen kann.
Außerdem habe ich Angst, dass mit fortschreitender Zeit meine australische Identität immer weiter zurückgehen wird. Hoffen wir, dass das nicht geschehen wird.
Habt ihr eine ähnliche Geschichte zu erzählen? Mich würde freuen, von euch zu hören!
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