An dem Tag, an dem wir das Châteaux de Quéribus an der Grenze zu Spanien besichtigten, dachte ich im Auto darüber nach, wie seltsam es doch war, sich in einer Grenzregion zu befinden. Denn die Stimmung war ganz einfach eine andere. Gerade hier, mitten in den Pyrenäen, bereitete sie mir eine Gänsehaut. Die Leute, die in so einer Grenzregion lebten, schienen einen immer ein wenig misstrauisch entgegenzukommen. So, als ob sie sich nur mit Vorsicht Fremden nähern wollten und immer auf der Hut wären.

Die bergige Grenzregion zwischen Frankreich und Spanien ist unwirtlich und schroff. Sie war der perfekte Rückzugsort für die religiös verfolgten Katharer.
Vielleicht lag es daran, dass über viele Jahrhunderte die Leute in diesen Gegenden immer schon unter ihrem Schicksal als Grenzbewohner zu leiden gehabt haben. Grenzregionen waren ja schon immer heiß umkämpft und stark umstritten gewesen. Plünderungen, Krieg und Ausbeutung waren sicherlich auch nicht unbekannt in der Region rund um Quéribus gewesen.
Vogelfreie hätten in dieser bergigen Gegend ein perfektes Versteck gefunden. Flüchtige hätten sich in der Dunkelheit der Nacht von Schatten zu Schatten bewegt, ihr Proviant das, was die Scheunen der Bauern hergaben. Schmuggler hätten jeden Pfad gekannt und für ihre illegalen Aktivitäten genutzt.
Kein Wunder also, dass Familien, die schon seit Generationen im Grenzgebiet zwischen Frankreich und Spanien lebten, ein gesundes Misstrauen Fremden gegenüber an den Tag legten.

Das Château de Quéribus war praktisch uneinnehmbar. Die Burg befand sich auf einem steilen Berggrad mit nur einem einzigen beschwerlichem Zugang.
Fahrt in die schroffe Bergwelt der französischen Pyrenäen
Von Carcassonne aus ging es für uns also an diesem Tag in die Tiefen der französischen Pyrenäen. Unser Ziel war ein Gebiet, das sich im Grenzgebiet zwischen Spanien und Frankreich befand. Bergig und schroff, kaum besiedelt und selbst heute noch bei Besuchern der Region eher unbekannt.
Unser Ziel war eine mittelalterliche Burg, die sich hoch oben auf der Spitze eines Berges über der Landschaft erhob, das Châteaux de Quéribus. Erbaut als Grenzburg zwischen den Königreichen Frankreich und Aragon, hoch oben in den Wolken mit einem herrlichen Blick über die Pyrenäen bis zum Mittelmeer. Sie war nur eine von fünf Grenzburgen in dieser Gegend, Teil eines steinernen Schutzwalls zwischen den beiden verfeindeten Königreichen. Heute war Quéribus ein beliebtes Ausflugsziel in Südfrankreich, besonders für Besucher aus Carcassonne, Narbonne, Perpignan und sogar das weiter entfernte Toulouse.
Von Bildern aus dem Internet wussten wir bereits, dass Quéribus eine sehr abgelegene Burg war. Dann waren wir aber doch überrascht, als wir auf dem Weg dorthin unseren Mobilfunkempfang verloren. Für 90 Minuten ging es immer weiter auf kurvigen Landstraßen, wobei uns mit jedem Kilometer die Sache immer unheimlicher wurde. Unsere Tankanzeige näherte sich bedrohlich dem Ende zu, und es kam in dieser Einöde nicht eine einzige Tankstelle in Sicht. Ohne Handy konnten wir nicht nachschlagen, wo es die nächste Tankstelle gab. Leichte Panik machte sich breit.
Je weiter wir fuhren, desto steiler wurden die Berge. Sie umschlossen uns wie steinerne Mauern, schienen uns fast zu erdrücken. Bald konnten wir auch das Gefühl von Klaustrophobie nicht so recht abschütteln.

Diese Steintreppe war der einzige Zuweg zur Burg. Eine heranrückende Armee hatte unter diesen Bedingungen keine Chance, Quéribus einzunehmen.
Quéribus, die letzte Feste der Albigenser
Während wir weiterfuhren, musste ich unweigerlich an die rund 1.000 Albigenser denken, die einmal in dieser gottverlassenen Region Zuflucht gesucht hatten. Die Mächte der französischen Krone war ihnen dabei dicht auf den Fersen gewesen in einem letzten Versuch, das Ketzergut dieser Leute für immer auszumerzen. Man nannte diese Albigenser auch Katharer, und sie hatten es gewagt, eine neue Kirche zu gründen, die sich dem Einfluss des Papsttums entzogen hatte.
Die Antwort durch die Katholische Kirche hatte nicht lange auf sich warten lassen: Man rief einen Kreuzzug gegen die Katharer aus, belagerte viele der Städte in Südfrankreich und ging mit äußerster Härte vor. Männer, Frauen und Kinder wurden auf diese Weise aufs Gräulichste von Papst und König hingemetzelt, nur, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort waren. Viele waren noch nicht einmal Anhänger des ketzerischen Glaubens gewesen.
In Todesangst flohen also die letzten Überlebenden in diese Grenzregion. Während ich durch das Autofenster auf die unwirtlichen Berge blickte, konnte ich mir kaum ausmalen, wie ganze Familien vor den Kreuzrittern geflohen sein mussten, wahrscheinlich zu Fuß und mit nicht viel mehr als den Kleidern an ihrem Leib.

Von den Verteidigungsanlagen und dem Bergfried waren gerade noch genug Einzelteile vorhanden, dass man sich die Funktion und Bauweise dieser Grenzburg vorstellen konnte.
Ein luftiger Aussichtspunkt in den französischen Pyrenäen
Die Entscheidung der Handvoll überlebender Albigenser nach Quéribus zu fliehen, war weise gewesen. Denn Quéribus war praktisch uneinnehmbar, selbst für die stärkste Ritterarmee. Am Ende würde diese Katharerburg die letzte sein, die dem Ansturm der französischen Armee standhalten würde. Ganze elf Jahre länger als jede andere Burg konnte sie sich in den Wirren des mittelalterlichen Glaubenskrieges gegen die Angreifer behaupten.
Das Châteaux de Quéribus konnten wir bereits bei der Anfahrt sehr gut in Augenschein nehmen. Und der Blick darauf war wirklich beeindruckend. Die Burg befand sich auf der Spitze eines Berges, von der sie stufenweise hinunter zu purzeln schien, fast so, als säße sie auf einem Thron. Ganz oben der mehreckige wuchtige Bergfried, darunter die immer noch sehr intakten Verteidigungsanlagen aus Mauern, Türmen und Vorhöfen. Der Aufstieg war offensichtlich so schwierig und so steil, dass eine feindliche Armee kaum eine Chance gehabt hätte.
Vom Parkplatz und Kassenhäuschen aus ging es einen Fußweg den Berg hinauf zur Burg. An beiden Seiten wuchsen dichtes Gehölz, Wildblumen und Gräser. Dornige Brombeeren säumten ebenso den Pfad wie giftig aussehende rote Beeren. Überall lagen Ziegenkürtel. Bienen summten im Dickicht. Die Luft war feucht, doch frisch und sauber. Mit jedem Schritt, den ich den Berg hinaufstieg, kam die Burg näher, ragte bedrohlich über mir auf mit ihren meterhohen Mauern und Türmen.

Kaum vorstellbar, wie hier über Jahre hochrangige Katharer, Frauen und Kinder aus Furcht vor den Häschern ausharren mussten.
Ein atemberaubendes Bergpanorama
Kurz vor der Burg verwandelte sich der Fußweg in eine Treppe aus grob behauenen Steinen, die direkt vom Berg stammten. Die Stufen waren alt und rutschig, überwachsen und uneben. Aus Angst abzurutschen oder zu stolpern hielt ich mich am Halteseil fest, das man extra für Leute wie mich dort angebracht hatte. Schritt für Schritt arbeitete ich mich so vor. Keine Armee der Welt hätte diesen Weg zur Eroberung von Quéribus nehmen können, denn er erlaubte keinen kraftvollen Ansturm eines großen Heeres.
Mit jedem Meter, den ich höher stieg, eröffnete sich vor meinen Augen die Berglandschaft ein Stückchen mehr. Ein herrliches Panorama aus schroffen Felsen und Bergkämmen, bedeckt mit einem tiefgrünen Wald aus Kiefernhölzern. Ein Dunst klebte an diesem Tag über den Bergspitzen, sodass man fast meinen könnte, man wäre in einer Wolkenwelt angekommen.
Raubvögel kreisten über unseren Köpfen. Entlang der Hänge und über die Bergkämme konnte man von hier oben die alten Trampelpfade ausmachen, jahrhundertealte Verbindungswege zwischen den Dörfern der Grenzregion.

Einige Räume waren in der Burg noch erhalten und gaben einen Eindruck vom Leben auf Quéribus im Mittelalter.
Von den Geistern der Vergangenheit heimgesucht
Viele Besucher kamen nach Quéribus allein des Ausblicks wegen, und dieser war an jenem Tag atemberaubend. Aber Quéribus hatte noch so viel mehr zu bieten. Auch wenn die Burg heutzutage mehr Ruine als alles anderes war, so gab es immer noch ein paar gut erhaltene Teile der Anlage, die man erkunden konnte, zum Beispiel die gotische Säulenhalle, die Renaissancefenster und die vielen Schießscharten.
Man konnte klar erkennen, wo „moderne“ Kanonen tiefe Löcher in die Verteidigungsmauern gefräst hatten. Eine ganze Reihe von Verteidigungsmaßnahmen am einzigen Zugangspunkt der Burg waren auch heute noch deutlich sichtbar. Ganz eindeutig: Quéribus war eine unvergleichliche militärische Festung, kühn und stolz.
Innen war die Burg beklemmend dunkel und feucht, so als ob Geister auch heute noch durch das alte Gemäuer streiften. Während ich durch die Räume ging, fiel mein Blick auf einen Namen, den eine verlorene Seele einst in den Stein geritzt hatte. Mit den Fingerspitzen zeichnete ich das verblasste Wort nach: stand da Albin geschrieben?
Wenn man mal drüber nachdenkt, in Quéribus müssten sich so einige Dramen abgespielt haben. Ritter und das einfache Volk, zusammengepfercht auf dieser zugigen Bergspitze, isoliert und in Todesangst. Jahrelang in der Hoffnung, dass sich das politische Klima eines Tages ändern würde und sie in ihre Heimatorte zurückkehren durften.
Doch so sollte es niemals kommen. Am Ende musste selbst Quéribus fallen. Die Albigenser sahen dem Tod entgegen oder verstreuten sich in alle vier Winde. Die Grenzregion, die ihre letzte Zuflucht gewesen war, wurde auch Zeuge ihres Todes. Die Geschichte der Katharer, sie endete hier.

Allein schon des Ausblicks wegen lohnt der Aufstieg zur Burg Quéribus. An manchen Tagen kann man bis zum Mittelmeer schauen. Die Burg ist nur eine von Fünfen, die damals die Grenze befriedet haben.
Besuch der letzten Katharerburg Quéribus
Quéribus war für uns mehr als nur eine Burgruine in den Pyrenäen. Sie war ein Ort voller Atmosphäre und unerzählter Geschichten. Den Elementen schutzlos ausgeliefert, abgenagt bis auf die Knochen. Ein unheimlicher Ort in einer verlassenen, seltsam anmutenden Region ganz im Süden Frankreichs. Stolz, unnahbar, unfassbar.
Tipp: Wenn du Quéribus besichtigen willst, mache auch Halt im benachbarten Ort Cucugnan, ein bildhübsches Dorf mit Restaurants und Angeboten für weitere Aktivitäten. Über unseren sehr empfehlenswerten Aufenthalt in Carcassonne kannst du hier mehr lesen.
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