Kreuz und quer ziehen sich die Spuren durch den harten Stein auf einer windgefegten Fläche in Malta namens Misraħ Għar il-Kbir. Das Kuriose daran: Die Schleifspuren erscheinen fast immer paarweise, fast so wie Abdrücke, wie sie ein Wagen im weichen Boden hinterlassen würde. Keiner weiß, wie sie entstanden sind oder wer sie gemacht hat.
Sind sie wirklich Abdrücke von prähistorischen Ochsenkarren, oder gibt es eine andere Erklärung? Ein Brite jedenfalls ließ sich angesichts des steinernen Musters dazu hinreißen, diesen Ort Clapham Junction zu taufen, nach dem großen Londoner Bahnhof, wo viele Zuglinien aufeinandertreffen.
Ein interessanter Ort auf Malta, den nicht viele Besucher kennen, also musste ich ganz einfach einmal vorbeischauen. Die Stelle ist nicht weit weg von den berühmten Dingli Cliffs, perfekt also, einen Besuch dieser beiden Sehenswürdigkeiten auf einem Ausflug miteinander zu verbinden.

Seltsame Schleifspuren ziehen sich scheinbar Hunderte von Meter durch die Landschaft. Sie sind teilweise sehr deutlich zu erkennen, doch was ist ihr Hintergrund?
Das Geheimnis der mysteriösen Schleifspuren im Stein
In den Felsboden gegrabene Rillen, die scheinbar unordentlich und doch seltsam geplant durch die maltesische Landschaft ziehen. Auf Englisch nennt man dieses Phänomen Cart Ruts, also die Spurrillen, so wie man sie manchmal für Wagen auf Straßen und Einfahrten findet. Wer schon mal in Pompeji war, weiß, was ich meine. Sie sind bis zu 60cm tief und zeigen einen „Radabstand“ von 110cm bis 140cm.
Doch handelt es sich bei diesen Rillen wirklich um von Menschen angebrachte Spurrillen? Fakt ist, dass man sie an verschiedenen Orten in Malta und auch auf Gozo findet, nicht nur in Siggiewi bei den Dingli Cliffs. Diese scheinen jedoch die am meisten ausgeprägten zu sein, die mit dem größten Durcheinander.
Die Forscher vermuten, dass die Rillen um die 4.000 Jahre alt sind. Wurden sie vom Menschen gemacht, dann waren es wahrscheinlich die ersten bronzezeitlichen Siedler, die von Sizilien auf die maltesischen Inseln kamen, die dies hier zuwege gebracht haben. Doch wirklich bewiesen werden konnte dies bislang noch nicht.

Auffällig sind die parallelen Verläufe der Rinnen. Doch was ist der Hintergrund oder gar der Zweck dieser Spuren im Stein?
Mögliche Erklärungen für die tiefen Rinnen im Stein
Es gibt viele Theorien angesehener Wissenschaftler, die versuchen, die tiefen Rinnen im Stein zu erklären. Alle scheinen auf den ersten Blick plausibel, doch es gibt auch immer gewichtige Gegenargumente für die Theorien.
Eine Theorie vermutet hinter den Cart Ruts Schleifspuren von Schlitten, mit denen die Einwohner der Bronzezeit schwere Güter über größere Distanzen transportiert haben. Dies ist gar nicht so unwahrscheinlich, wenn man bedenkt, dass der Stein an dieser Stelle ein relativ weicher Sandstein ist, der bei Feuchtigkeit einen Großteil seiner Festigkeit verliert. Welche schweren Güter man dabei transportieren wollte, kann man ebenfalls nur spekulieren. Manche Forscher vermuten, dass es sich hierbei vielleicht um Baumaterialien für die vielen megalithischen Tempel Maltas handeln könnte. Allerdings fehlen in der Nähe der Tempel genau diese Spuren.

Wurden die Rinnen von Menschen gemacht oder sind sie das Ergebnis von geologischen Besonderheiten? Selbst das Alter, 4000 Jahre, bleibt bislang umstritten.
Eine weitere Theorie vermutet, die Spuren seien Wagenrillen, die für den leichteren Transport von Gütern angelegt worden sind. Angesichts der geringen Bevölkerungsdichte ist dies aber eigentlich eher abwegig. Auch der große Radabstand von teilweise bis zu 1,40m lässt diese Theorie eher unwahrscheinlich erscheinen.
Die Rillen könnten eine Art prähistorisches Bewässerungssystem sein. Angesichts der Tatsache, dass Malta ein eher trockenes Land ist, ist es gut möglich, dass die frühen Bewohner sich schon bald eine Möglichkeit überlegen mussten, das kostbare Regenwasser an die Orte auf der Insel zu leiten, an denen es benötigt wird – zu den Feldern. Allerdings entstammen die Cart Ruts aus einer Zeit, als nicht sehr viele Menschen auf den Inseln lebten. Größere Bevölkerungsgruppen hatten problemlos ohne solch ein Bewässerungssystem überleben können.
Natürlich könnte man es auch mit Erich von Däniken halten und in den Spuren eine außerirdische Landebahn vermuten. Ich überlasse es euch mal, euch selbst aus diesem seltsamen Phänomen einen Reim raus zu machen.

Die Gegend rund um die Malta Cart Ruts ist ländlich und liegt verlassen da. Kaum ein Tourist verirrt sich jemals hierher.
Unser Besuch der Malta Cart Ruts bei Siggiewi
Wenn man mit dem Mietwagen auf Malta unterwegs ist, dann ist es gar nicht so schwierig, die Cart Ruts bei Siggiewi unweit der Dingli Cliffs zu besuchen. Man muss sich nur trauen, die engen Feldwege dorthin zu fahren, auch wenn es teilweise ein wenig abenteuerlich wird. Die genaue Lage ist bei Google Maps unter „Clapham Junction“ zielgenau ausgewiesen.
Kurz vor den eigentlichen Cart Ruts kommt man an einen nigelnagelneuen Parkplatz, der mit Kies ausgelegt ist. Hier kann man das Auto abstellen und zu Fuß weitergehen. Hinweisschilder am Eingang des Geländes bestätigen einem dabei, dass man sich auf dem richtigen Weg befindet. Der Besuch der Cart Ruts von Siggiewi kostet keinen Eintritt; das Gelände wird nicht bewacht.
Vorbei an Trockenmauern und Wildblumenwiesen geht es dann, bis man nach wenigen Minuten die Cart Ruts erreicht. Auf den ersten Blick erscheinen sie ehrlich gesagt wenig spektakulär, doch wenn man sich auf die Linienführung konzentriert und genau hinschaut, erkannt man, dass diese Rillen eigentlich kein Zufall sein können. Auch der Lichteinfall mit Licht und Schatten macht dies noch einmal deutlich.

Nur wenige Meter hinter den Clapham Junction Cart Ruts befinden sich interessante prähistorische Höhlen, die man ebenfalls kostenlos erkunden kann.
Und da war noch was: Die riesigen Höhlen von Għar il-Kbir
Wo man schon mal da ist, kann man auch noch ein paar Meter weiterlaufen: Es lohnt sich! Denn nur wenige Meter entfernt ist eine tiefe Senke, die fast komplett von Vegetation überwuchert ist. Zu allen Seiten hin öffnen sich riesige Höhlen, von denen auch heute noch viele begehbar sind. Wir gehen den kleinen Pfad hinunter zum Boden der Senke und schauen uns um.
Għar il-Kbir bedeutet soviel wie „Große Höhle“, und groß ist sie tatsächlich. So groß, dass Menschen in ihrem Inneren Trockenmauern gebaut haben, um die einzelnen Abschnitte und Einbuchtungen voneinander abzugrenzen. Genauso alt wie die benachbarten Cart Ruts ist die Besiedelungsgeschichte dieser Höhlen, die erst im 19. Jahrhundert aufgegeben wurden, nachdem die Briten den großen Raum in der Mitte gesprengt hatten: die große Senke im Zentrum der Anlage, die man zuerst betritt.

4.000 Jahre lange wurden die Höhlen von Għar il-Kbir von Menschen genutzt. Trockenmauern dienten dazu, Wohnbereiche voneinander abzugrenzen. Heute hält man hier höchstens noch Ziegen.
Wie hat es sich hier wohl gelebt, über so eine lange Zeit hinweg? Nicht viel deutet noch auf diese lange Besiedelungsgeschichte hin: keine Malereien, aber mit dem kundigen Auge erkennt man in den Stein gehauene Nischen, geschwärzte Decken, Regal usw. Wir schauen uns eine Weile um, bestaunen das Licht, wie es grün gefiltert und schräg in die Höhle fällt, genießen die Geborgenheit des geschlossenen Raums und die Kühle.
Auf den Spuren der ersten Menschen auf Malta
Ob die Spurrillen mit den nahegelegenen Höhlen in Verbindung stehen, kann momentan noch nicht gesagt werden.
Die gesamte Gegend ist auf jeden Fall ein echter Geheimtipp und absolut sehenswert, besonders, wenn man sich für seltsame Phänomene und die Vorzeit interessiert. Wer mag, kann natürlich im Anschluss auch gleich die Dingli Cliffs mit ihrem atemberaubenden Ausblick auf die Südküste Maltas besichtigen.
Weitere interessante Malta-Artikel:
- Autofahren mit dem Mietwagen auf Malta: Erfahrungen und Tipps
- Exklusiver Einblick in das mysteriöse Hypogäum auf Malta
- Die besten Gozo Sehenswürdigkeiten und Erlebnisse
Jetzt auf Pinterest merken für später!