Wir sitzen an der Spree und schauen aufs Wasser. Es ist einer dieser ersten sonnigen Tage im Jahr. Um uns herum ist ein wilder Mix an Leuten, trinkt Fritz Cola und entspannt in den aufgestellten Sonnenstühlen. „Schau mal,“ sage ich, und zeige auf ein kleines Bötchen mit Eiscremetruhe und Sonnenschirm, das da so vorbei tuckert. Was für eine clevere Geschäftsidee, hier, so kurz vor der Rummelsburger Bucht, wo man sich Hausboote und Zeltfloße mieten kann, auf denen man sogar grillen darf.
Apropos Hausboot: Genau ein solches Exemplar rückt nun ins Blickfeld. Trashige Popmusik aus Italien dröhnt über das Wasser zu uns hinüber. Das Boot ist voll mit Jungs und Mädels, man sonnt sich auf dem Dach, hoch die Tassen. Ein junger Mann geht in den offenen Verschlag, zieht sich nackt aus, steigt wieder oben aufs Dach. Sein intimstes Teil leuchtet blassgolden in der Nachmittagssonne. Er stellt sich an den Rand, vor den Augen seiner Freunde, nimmt die Arme über den Kopf und springt los. Mit einem lauten Klatschen landet er in der Spree, die bitterkalt sein muss, aber keinen scheint’s zu stören.
Ich blicke zu meinem Mann, kühle Rhabarber-Limo in der Hand, lege den Kopf schief und lasse mir die Sonne auf die Nase scheinen. Blinzelnd denke ich, das ist mein Berlin, genau so, wie ich es mir immer gewünscht habe.

Mit dem Fahrrad in Berlin an der Spree entlang und dann mit einer Rhabarber-Limo chillen. Ein perfekter Sonntag.
Inhalt
- 1 Eine Fahrradtour im Osten von Berlin
- 2 Cocktailbuden, ein verlassener Freizeitpark und ein rostiges Riesenrad
- 3 Langsam tuckert die Fähre mit uns über die Spree
- 4 Typisch Berlin: Man muss sich schon ein bisschen trauen, will man was erleben
- 5 Kaum sonstwo ist es deutlicher: Berlin ist eine Stadt im Wandel
- 6 Kühles Bier und Steinofenpizza: Die Welt ist gut
Eine Fahrradtour im Osten von Berlin
Wir sind auf einer kleinen Fahrradtour, folgen ein weiteres Mal der Strecke, wie sie mir letztens erst von Sandra von Tracks and the City gezeigt wurde. Damals war es eine Abendwanderung, zu Fuß. Jetzt ist es eine Fahrradtour, an einem faulen Sonntagnachmittag, als die Sonne das erste Mal richtig scheint, und die Leute zum Ufer der Spree strömen um zu klönen, zu trinken und die frische Luft zu genießen.
Die Strecke ist leicht zu bewältigen und dabei so berlinerisch, wie man sich das nur wünschen kann. Man kann sie laufen oder radeln und sieht dabei jede Menge tolle Dinge, die man noch nicht einmal in den besten Reiseführern finden kann.
Verlassene Orte, revitalisierte Plätze, Alteingesessenes und neue Bauten, es ist so ziemlich alles dabei. Und dann auf halber Strecke sogar noch eine der letzten zwei verbliebenen BVG-Fähren in Berlin. Was will man also mehr?

Kinderlachen hört man hier schon lange nicht mehr. Ganz leise dreht sich hier heute nur noch das rostige Riesenrad im Wind.
Cocktailbuden, ein verlassener Freizeitpark und ein rostiges Riesenrad
Wir beginnen unsere Tour an der S-Bahn-Haltestelle Treptower Park. Die liegt günstigerweise direkt an der Spree und am Treptower Park, sodass man gleich loslegen kann. Vorbei geht es an den kleinen Büdchen, wo Streetfood, Snacks, Eis und Cocktails verkauft werden. Es ist voll, man gönnt sich ja sonst nichts. Ausflugsschiffe sind hier vertäut, und Hausboote, auf denen sogar ein paar Leute leben.
Durch den Treptower Park fahren wir, immer am Wasser lang. Die Liegewiesen sind voll mit Gruppen und Familien. Der Weg ist eine einzige Slalomtour, denn an diesem sonnigen Tag scheint wirklich jeder auf den Beinen zu sein. Richtig voll wird es beim ersten Ausflugslokal, dem Restaurant Zenner, so dass wir eine Zeitlang absteigen müssen. Doch hinter der Insel der Jugend (ich weigere mich, es nur „Die Insel“ zu nennen) mit der hübschen Fußgängerbrücke wird es langsam ruhiger.
Es geht vorbei am Plänterwald, dort wo sich die letzten Überbleibsel des Spreeparks befinden, eines beliebten Themenparks, der seit einigen Jahren unbenutzt vor sich hin verrottet. Hohe Zäune halten die Besucher vom Weitergehen auf das Gelände ab, doch das rostige Riesenrad, das sich langsam im Wind dreht, sieht man auch heute noch gut vom Wegesrand.
Es ist schattig hier, die Bäume stehen dicht an dicht im Plänterwald. Auf heimlichen Bänken sitzen verliebte Paare, junge Familien, die ersten Dates. Wir kommen an einem weiteren Ausflugslokal vorbei, dem Eierhäuschen. Es ist komplett eingerüstet, man baut um, modernisiert. Was hier mal draus werden soll, das weiß man noch nicht so recht, aber Fontane hat schon mal drüber geschrieben.

Die kleine Personenfähre zum Wilhelmstrand ist unglaublich idyllisch und herrlich altmodisch. Hoffentlich bleibt sie den Berlinern noch möglichst lange erhalten.
Langsam tuckert die Fähre mit uns über die Spree
Kurz nachdem die Minna-Todenhagen-Brücke ins Blickfeld rückt, kommen wir zum Anlegesteg der kleinen Personenfähre. Wir haben sie gerade verpasst, sie legt vor unseren Augen ab. Zeit abzusteigen und sich eine Weile auszuruhen. Wir sind nicht die einzigen Fahrradfahrer, es gesellen sich noch eine Familie und ein Pärchen zu uns. Die Überfahrt ist kurz und dauert nur zwei Minuten. Fast hätte man die Fähre abgeschafft, zu unrentabel, hieß es. Glücklicherweise für uns und für die anderen Passagiere an diesem Tag bringt sie auch noch 2019 Berliner und Besucher zum jeweils anderen Spreeufer.
An der Reling hängend, genieße ich die kurze Überfahrt. Die schattigen grünen Ufer der Spree, Wald auf der einen Seite, Schrebergärten auf der anderen. Enten schießen über das Wasser, bis auf das Rumpeln und Scheppern im weit entfernten Heizkraftwerk hört und fühlt und sieht man nur Natur.
Am anderen Ufer angekommen, befinden wir uns in der Gartensiedlung Wilhelmstrand, die wir durchqueren müssen, um dem Verlauf der Spree zurückverfolgen zu können. Eine typische Siedlung aus kleinen Wochenendhäuschen, mit sauber geschnittenen Rasen und Hecken, Gartenzwergen, Vereinsheim. Glück auf wenigen Quadratmetern.

Eine Ruine in der Nähe des alten DDR-Funkhauses. Völlig entkernt steht sie da, sodass die Sonnenstrahlen einmal ganz hindurch scheinen können.
Typisch Berlin: Man muss sich schon ein bisschen trauen, will man was erleben
Wir folgen der Rummelsburger Landstraße, vorbei an ausgehöhlten Ruinen mit gähnenden Löchern, durch die die Sonne scheint. Meterhohes Graffiti prangt auf den großen Flächen, Papier flattert in den sandigen Weiten drumherum.
Beinah könnte man es angesichts dieser Ruinen glatt übersehen, doch nur wenige Meter weiter, vorbei am Pförtnerhäuschen, gelangt man zum Funkhaus Berlin, der alten Rundfunkzentrale der DDR. Hier ist von Verfall nichts zu spüren, aber man muss sich schon ein wenig trauen, diese nicht einladende Straße zu befahren. Typisch Berlin eben: Man braucht schon ein wenig Mut, will man was Neues erfahren.
Zwei Lokale gibt es heute im Funkhaus, verkaufen italienische Spezialitäten, Kaffee und Kuchen am Ufer der Spree. Hier kehren wir für eine Weile ein, stellen die Räder an die Seite, beobachten nackte Italiener, wie sie von gemieteten Hausbooten in die Spree springen. Hier kann jeder so, wie er will. Alles kann, nichts muss.

Zeit für ein kleines Selfie, während man sich auf den Sonnenuntergang an der Rummelsburger Bucht vorbereitet.
Kaum sonstwo ist es deutlicher: Berlin ist eine Stadt im Wandel
Weiter geht’s! Wir haben ja noch ein Stückchen vor uns. Wir kehren zur großen Straße zurück, doch nur für eine kurze Weile. Auch wenn es jetzt nicht ganz so idyllisch ist, so hat es auch dieser Abschnitt in sich: Zwischen den monströsen Industrieanlagen des Heizkraftwerks fühlen wir uns ganz klein und geborgen.
An der Hafenküche biegen wir ab. Es ist brechend voll. Vorne dümpeln die Lastkähne, dazwischen auch andere Boote, wir hören Stimmen aus einer Boulderhalle. Man sitzt auf wackligen Stühlen vor der Halle, trinkt Bier und Energydrinks. Wir fahren weiter am Wasser entlang durch den Park.
Hier ist alles teuer und neu. Die Wohnhäuser sind berühmt in Berlin, sie locken eine bestimmte Klientel an. Drei riesige Etagen, kubistisch designt, mit einem zweigeschossigen Loft mit Riesenfenstern oben. Wenn dies Townhouses sind, dann sind sie riesig. Dazwischen viele weitere Wohnhäuser, modern, mit großen Balkonen, für Familien mit ein wenig extra Geld. Direkt am Wasser, nur durch den Park getrennt, durch den wir gerade radeln. Hier sind keine Wildpinkler erwünscht, es gibt extra Schilder dafür.
Am Rummelsburger Ufer wird es noch einmal gemütlich. Pärchen genießen die warmen Strahlen und knipsen kuschelig verliebt Selfies. Die kurz geschnittene Wiese reicht bis fast ans Wasser, perfekt für Picknickdecken und Gitarrenmusik.

Einer der schönsten Orte für den Sonnenuntergang in Berlin: Das Zilleufer an der Rummelsburger Bucht.
Kühles Bier und Steinofenpizza: Die Welt ist gut
An der Zillepromenade liegen kleine Motorboote und Jachten, es ist gediegen. Hier gibt es einen der schönsten Ausblicke zur Abendzeit, wenn sich die Sonne für den Tag hinter der großen Wasserfläche der Rummelsburger Bucht verabschiedet. (Weitere schöne Orte für den Sonnenuntergang in Berlin findest du übrigens hier). Wenig später heißt das Zilleufer bereits Paul und Paula Ufer. Warum, das weiß nur der liebe Gott.
Doch wir kehren noch ein letztes Mal ein, in der Rummels Bucht, einem überdachten Biergarten mit Steinofenpizza und kühlem Bier. Alles selbst zusammengezimmert, möchte man meinen. Hol dir keinen Splitter am Holz. Das Glas kostet einen Euro Pfand. Flieg nicht von der fiesen Stufe mitten im Raum. Ach, zu spät!
Jetzt sind wir schon ganz nah am Ziel, dem Ostkreuz. Niegelnagelneuer Bahnhof im dicht bebauten Berliner Osten. Hier, wo wir zechen, ist das Bauland schon abgesteckt, es ist nur eine Frage der Zeit. Berlin ist und bleibt im Wandel, und ist doch immer noch so herrlich anders. Typisch Berlin, eben.
Von Alt zu Neu, von idyllisch bis industriell, von traditionell zu ausgeflippt: Ich liebe einfach diese Stadt.
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1 Kommentar
oh das freut mich aber sehr, dass du die Strecke als Radtour mit aufgenommen hast.
PS: call me der liebe Gott: das Ufer heißt so, weil genau dort der legendäre DDR Film „Paul und Paula“ in den 1970er Jahren gedreht wurde.
Und deine Bilde sind so schön, ich hätte gleich wieder Lust auf ne Tour 🙂
Liebe Grüße
Sandra