Wir geben es gern offen zu: Santiago de Compostela stand nicht wegen seiner Pilgerrouten-Attraktionen auf unserer Liste. Wir sind keine religiösen Menschen, und auch wenn wir Kirchenarchitektur lieben, ist das noch lange kein Grund, dafür eine Destination extra auszusuchen.
Vielmehr war Santiago für uns ein praktischer Zwischenstopp auf unserer Rundreise von Portugal in Richtung Südfrankreich. Wir nahmen an, dass ein Ort, der solch einen hohen Zustrom von Pilgern hat, sicherlich auch eine Auswahl an familienfreundlichen Unterkünften zur Verfügung stellen wird. Und so fanden wir auch problemlos in der Nähe des Uni-Campus ein kleines Apartment mit zwei Schlafzimmern, das unseren Ansprüchen genügte.
Doch wir täten Santiago Unrecht, wenn wir es nur als einen praktischen Zwischenstopp darstellen würden. Wir wurden nämlich von der Stadt angenehm überrascht. Denn wie sich schon bald herausstellte, Santiago ist viel mehr als nur der Ende des Jakobsweges.
Faszinierende Altstadt mit mittelalterlichem Flair
Santiagos Altstadt bietet unserer Meinung nach mehr als so manch andere spanische Altstadt. Ja, sie ist natürlich frei von Verkehr und erhält dadurch schon mal einen ganz besonderen Charme. Aber da war mehr. Wir fühlten uns auf Anhieb zu Hause.
Vielleicht waren es die uralten Fachwerkhäuser, deren Balken sich unter den überbauten Obergeschossen bedrohlich durchbogen. Oder vielleicht die elegant geschwungenen Bögen der zahlreichen Arkadengänge, die die Straßen säumten und ihnen so ein mittelalterliches Aussehen verliehen. Die Cafes und Restaurants, die sich diese heimeligen Arkaden zunutze machten und Tische und Stühle für die Kunden aufgestellt hatten.
Wir bemerkten auch, dass Santiago voll war mit kunstfertig ausgeführten Steinmetzarbeiten, schmiedeeisernen Geschäftsschildern, verstaubten und altmodischen Laternen.
Als wir so mit den Kindern die Stadt erkundeten, staunten wir gemeinsam mit ihnen über die vollverglasten Balkone an neuen und alten Häusern, so typisch für die Region Galicien. Wir entdeckten alte Steinschwellen, die über die Jahrhunderte von Tausenden von Schuhen abgewetzt worden sein müssen. Hausmauern, die sich den Regeln der Schwerkraft zu widersetzen schienen und sich gefährlich weit zur Seite neigten. Wir genossen den Anblick blühender Plätze und stoppten für einen kurzen Moment, um einen Blick in die leeren Seitenstraßen zu werfen.
Eine Pilgerdestination, die auch für Familien interessant ist
Niemals im Leben hätte ich gedacht, dass wir einmal den Jakobsweg begehen würden. Doch irgendwie schienen alle Wege der Stadt letztlich an der Kathedrale zu enden. Und so entschlossen wir uns schließlich, ebenfalls durch das große Portal der Kirche zu schreiten.
Drinnen war es nüchtern und dunkel. Als wir eintraten, wurde gerade eine Messe gehalten und jeder Sitz schien mit Gläubigen gefüllt zu sein. Leise machten wir uns auf den Weg entlang der Seitenschiffe, schauten mal hierhin und mal dorthin, und dann verließen wir das Gebäude auch wieder so mucksmäuschenstill wie wir gekommen waren.
Draußen auf der großen Treppe schauten wir auf die Stadt hinab und auf die vielen prachtvollen barocken Gebäude rund um den Platz herum. Santiago de Compostela mag vielleicht eine alte Stadt sein, aber draußen vor der Kirche war sie erstaunlicherweise eine durch und durch weltliche Stadt. Die Pilger hatten über Jahrhunderte hinweg zum Wohlstand und Reichtum der Stadt beigetragen, und es war leicht, sein Geld in den zahlreichen Geschäften in der Innenstadt auszugeben.
Jeder scheint hier etwas für sich zu entdecken
Von der Kathedrale aus machten wir uns wieder auf in Richtung Stadtzentrum. Die Straßen waren voll mit Menschen, doch nicht nur Pilger, wir wir anfangs vermutet hatten. Der Mix war beinah atemberaubend: flegelhafte Jugendgruppen, Straßenmusiker, Bettler, Hippies – sie alle schienen etwas in Santiago zu entdecken, was ihnen gefiel. Im Kontrast hierzu dann die Reichen und Schönen auf den weit ausladenden Balkonen des Parador, des ältesten Hotels der Stadt. Diese schauten sich das Geschehen auf den Plätzen genauso an wie wir, jedoch in Bademänteln gekleidet und mit Champagnerflöte in der Hand.
Nur einen Platz weiter stießen wir auf eine galicische Trachtengruppe mit Bommelmützen, bunten Westen und fein bestickten Schals. Ihre Musik gab der Stadt noch einmal extra Flair.
Was uns sehr überraschte war, wie jung Santiago de Compostela eigentlich wirkte. Die Universität war nämlich ein genauso wichtiger Teil der Stadt wie die Kathedrale und die Pilger. Junge Leute fanden wir hier überall. Sie trafen sich mit ihren Freunden zu einem Glas Wein, reihten sich ein an der Kinokasse, texteten auf ihren Telefonen neben dem alten Springbrunnen. Diese Studenten verliehen der Stadt eine jugendliche, progressive Atmosphäre, die uns persönlich an Münster und an andere deutsche Unistädte erinnerte.
Die Jakobsmuschel war natürlich überall zu finden – in Stein gemeißelt über einem Türsturz, als Metallscheibe auf den Pflastersteinen, auf T-Shirts in den Souvenirläden. Dies war das Symbol all jener, die den Jakobsweg nach Santiago de Compostela erwandert haben. Allerorten sahen wir die stolzen Besitzer solcher Muscheln. Sie klimperten als Anhängsel an den Knäufen der Wanderstöcke.
Als kleine Schnitzeljagd-Übung forderten wir die Kinder daher auf, alle Muscheln der Stadt zu suchen. Das hielt sie eine Weile beschäftigt.
Das kulinarische Galicien
Eine weitere Überraschung für uns waren die unzähligen Bars und Restaurants der Stadt. Sie alle lockten mit galicischen Verführungen. Natürlich kann man Galicien nicht besuchen ohne den berühmten Oktopus einmal zu probieren. Und auch die kleinen Häppchen auf Weißbrotscheiben, die Muscheln, Fische und Schinken, waren alle eine Reise wert.
Natürlich ist es ein wenig anders, wenn man mit Kindern reist, denn die scheren sich weniger um kulinarische Genüsse. Und wie sich dann herausstellte, eigentlich alle Restaurants in Santiago haben keinen Plan B für Kinder. Keine Kinderteller, keine leichten Optionen.
Am ersten Abend konnten wir noch eine Pizza besorgen in einem ausgezeichneten Restaurant, aber am zweiten Abend war dies geschlossen, und eine andere gute Pizza war nirgendwo mehr auszumachen. So mussten die Kinder halt mit Brot zu Bett gehen, während wir uns über die galicischen Kostbarkeiten hermachten. Tough Love.
Santiago de Compostela mit Kindern – ja, das geht
Santiago ist nicht der familienfreundlichste Ort der Welt, aber es lässt sich sehr bequem auch mit Kindern erkunden. Die Innenstadt ist fußgängerfreundlich gestaltet und es bieten sich viele interessante Anlaufpunkte für die ganze Familie. Die Kinder liebten vor allem die Musiker, Tänzer und Marionettenspieler, die in Scharen in der Fußgängerzone unterwegs waren.
Zudem fühlten wir uns die ganze Zeit sicher und sehr gut aufgehoben. Interessieren sich Kinder für dunkle Kirchen und alte Bauten? Wohl kaum. Deshalb erkundeten wir mit ihnen auch den schönen Parque da Alameda, der gleich hinter dem Stadtzentrum beginnt und bis zum Unicampus verläuft.
Außerdem ist Santiago de Compostela eine tolle Basis, um weitere Reiseziele in Nordspanien zu erkunden, darunter die malerischen Städte Ourense, La Coruña und Vigo. Von hier aus besuchten wir auch eine mysteriöse Keltenfestung aus der Eisenzeit.